Textfeedback geben – ein verantwortungsvoller Job

veröffentlicht am 12. August 2015, abgelegt unter Feedback, Schreiben, Schreibprozess

Liebe Professorinnen und Professoren, liebe Führungskräfte,
bitte geben Sie anständiges Textfeedback!

„Nicht geschimpft ist schon genug gelobt.“ – Allzu häufig ist dies unser Motto, wenn wir Feedback geben. So wird zum Beispiel die Denk-, Recherche- und Formulierungsarbeit, die in einen Textentwurf geflossen sind, wie selbstverständlich hingenommen, so verblasst der respektable Gesamteindruck gegenüber den kleinen Stellen, an denen noch zu feilen wäre. Die Defizite liegen im Fokus: Was ist schlecht, was ist schwach an diesem Text. Der Rotstift hat ihn komplett entwertet – so kommt es beim Schreibenden an.

Was dies im Feedbacknehmer auslösen kann, welche Hemmungen und Frustgefühle, welche Verunsicherungen dadurch entstehen, das haben wir alle schon erlebt. Wie bei allen anderen Aufgaben, ist auch beim Schreiben ein verantwortungsvolles, durchdachtes Feedback enorm wichtig für den Erfolg oder Misserfolg des Projekts. Die folgende Geschichte macht dies deutlich:

Kürzlich kommt eine Studierende in meine Beratung, weil ihr Professor ihre Arbeit „komplett zerrissen habe“. Sie hatte ihm zwei Monate vor Abgabe seiner Forderung entsprechend ihre Rohfassung – natürlich die Rohfassung, sie hatte sich sogar noch vergewissert, in welchem Zustand der Text sein sollte – für ein erstes Feedback vorgelegt. Was macht der Professor: Er streicht unzählige formale und stilistische Details an, entrüstet sich über inhaltliche Wiederholungen und gibt der Ratsuchenden zu verstehen, dass das, was sie bisher geliefert habe, nichts wert sei und dass sie nun doch mal ranklotzen müsse.

Die Ratsuchende ist völlig vor den Kopf gestoßen und zutiefst verunsichert. Umso überraschter bin ich im Laufe des Beratungsgesprächs immer wieder darüber zu sehen, wie strukturiert und reflektiert sie arbeitet, wie klug und realistisch sie ihre Zeit einteilt – nebenbei arbeitet sie, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen –, und wie sie es versteht, die richtigen Prioritäten zu setzen. Auch hat sie den Mut, eigene Ideen in ihrem Text zu entwickeln, was unter Studierenden nicht selbstverständlich ist! Ich habe hier eine junge Frau vor mir, die weiß, was sie kann und was sie will. Sie macht alles richtig. Nur ihr Professor würdigt dies mit keiner Silbe – und wird damit zum Hemmschuh bei ihrer Abschlussarbeit! Wie kann das sein?!

Wie kann es sein, dass ein Professor nicht in der Lage ist, der Studierenden im Rahmen der Betreuung ihrer Abschlussarbeit ein angemessenes, professionelles Textfeedback zu geben?! Ihm scheint nicht klar zu sein, worin der Sinn und Zweck eines solchen Feedbacks besteht.

Schauen wir uns dazu einmal die Herkunft des Wortes an: Feedback kommt von to feed = füttern, versorgen. Feedback hat also etwas mit Fürsorge zu tun. Ich stelle mir eine Vogelmutter vor, wie sie eifrig den kleinen Schreihälsen in ihrem Nest Würmer, Beeren und andere Leckerbissen in den Mund stopft, damit sie groß uns stark werden. Das nennt man „Nachwuchsförderung“. Genau das, was Professorinnen, Professoren und Führungskräfte tun (sollen): die Studierenden oder die Mitarbeiter versorgen: mit Motivation, Reflexionsgabe, Selbstbewusstsein, damit sie in ihrer jeweiligen Position „groß und stark“ werden. Die Zutaten dieser Nahrung liegen zu einem guten Teil schon in der eigenen Leistungsfähigkeit, aber erst durch den Vorgang des fürsorglichen Rückmeldens (=back), des Bewusstmachens sowohl der Stärken als auch der Schwächen, entsteht daraus eine „stärkende Speise“.

Der Professor in der Geschichte hat der Studierenden hingegen harte Brocken vor die Füße geworfen – Friss oder stirb! Manch einer mag daraus die Motivation ziehen, sich durchzubeißen, den nötigen „Biss“ zu zeigen; die meisten Menschen aber werden wie die Studierende empfinden, sich blockiert und verunsichert fühlen.

Wenn ich in meinen Seminaren die Teilnehmenden frage, wie sie sich Feedback wünschen, entsteht immer in etwa die folgende Liste:

  • sachlich
  • ehrlich
  • differenziert
  • präzise
  • respektvoll
  • konstruktiv
  • individuell
  • motivierend
  • konkret
  • erklärend
  • Ich-Botschaften
  • Verbesserungen vorschlagen
  • auch Stärken benennen
  • dem Arbeitsstand entsprechend

Was zeigt uns das? Studierende, Mitarbeiter, Kolleginnen – wir alle wollen ein fürsorgliches, nährendes Feedback, aus dem wir etwas lernen, an dem wir wachsen können. Etwas lernen heißt dabei nicht nur zu erfahren, was ich anders machen könnte oder sollte. Sondern es heißt auch zu erkennen, was ich gut mache und warum ich es gut mache. Wie viele Einser-Kandidaten sind bei jeder neuen Schreibaufgabe wieder verunsichert, weil sie zwar bisher immer gute Noten bekommen haben, ihnen aber niemand im Detail gesagt hat, was sie gut gemacht haben. Ich denke dabie an meine Schul- und Uni-Zeit. Meine Texte habe ich da intuitiv entwickelt und jedesmal wieder dachte ich „Oh Gott, liege ich vielleicht völlig daneben?“ Wie hilfreich war es da, wenn mir meine Kommilitonin und Freundin ganz konkret sagte, warum sie meine Argumentation schlüssig fand, wodurch meine Sprache ihre Klarheit bekam und wie sie dem roten Faden folgen konnte.

Die Stärken zu benennen, das ist nicht nur Teil der häufig halbherzig angewandten „Sandwich“-Technik, mit dem leicht durchschaubaren Ziel, Kritik weich zu verpacken und so scheinbar erträglicher zu machen. Nein, indem ich meine Stärken erkenne, kann ich enorm an Selbstbewusstsein gewinnen. Auch als Feedbacknehmer nehme ich häufig meine Stärken als selbstverständlich und nichts Besonderes hin. Das ist grundfalsch! Um Motivation zu gewinnen, brauche ich die Würdigung dessen, was ich leiste, und zwar ganz konkret.

Deshalb, liebe Feedbackgeber, beherzigen Sie bitte die folgenden acht Punkte, wenn Sie das nächste Mal Feedback geben:

1. Mit Ihrem Feedback verbindet sich eine Verantwortung: Ziel ist es, den Feedbacknehmer zu stärken. Er soll an Ihrem Feedback wachsen können, nicht sich die Zähne ausbeißen oder Bauchschmerzen bekommen.

2. Überlegen Sie genau, welche Leistung Ihr Feedbacknehmer mit dem Textentwurf erbracht hat und würdigen Sie diese ehrlich und angemessen! Was ist gut an dem Text? Wo sind die stärksten Stellen?

3. Machen Sie sich klar, auf welchem Stand sich das Projekt befindet und passen Sie Ihr Feedback an: Handelt es sich um eine Rohfassung, dann schauen Sie in erster Linie auf Inhalt und Struktur und weisen Sie auf stilistische oder formale Mängel nur mit Blick auf die Überarbeitungsphase. Formulieren Sie das auch so. Bei einer „Endfassung“ achten Sie natürlich auf die Feinheiten.

4. Fragen Sie im Zweifelsfall nach, auf welcher Ebene der Feedbacknehmer eine Rückmeldung haben möchte.

5. Formulieren Sie Ihr Feedback so konkret wie möglich. Picken Sie sich die Stellen heraus und machen Sie Vorschläge, wie eine Verbesserung aussehen könnte. Senden Sie dabei Ich-Botschaften („Ich verstehe das so und so.“; „Lese ich das hier richtig?“)

6. Respektieren Sie Ihr Gegenüber als Autor des Textes und drücken Sie ihm nicht Ihren Schreibstil auf, es sei denn er schreibt in Ihrem Namen.

7. Lassen Sie dem Feedbacknehmer, wo immer möglich, den Freiraum zu entscheiden, welche Ihrer Änderungsvorschläge er umsetzt.

8. Verzichten Sie auf den Rotstift.

Die Ratsuchende aus meiner Geschichte hat all das von ihrem Professor nicht bekommen. Aber die negative Erfahrung brodelte in ihr – und erschwerte ihr das Schreiben enorm. Also fasste sie einen Entschluss: „Ich werde mir das Feedback einfordern, das ich verdiene. Ich werde noch einmal zum Professor gehen und ihn fragen, was denn gut ist an meiner Arbeit. Ich werde ihm auch deutlich machen, wie ernst ich dieses Projekt nehme, wieviel Energie und eigene Denkarbeit ich da hinein stecke. Ich werde ihm deutlich machen, was er mit seinem inkompetenten Feedback angerichtet hat.“

Hut ab. Möge der Professor an diesem Feedback wachsen.


2 Kommentare zu “Textfeedback geben – ein verantwortungsvoller Job”

  1. Lisa Spanier
    Erstellt am 15. August 2015 um 09:56 h

    Liebe Franziska,

    besten Dank für diese produktive Nutzung der Ferienzeit. Dein Beitrag birgt viele, viele Wahrheiten des Hochschullebens und löst umgehend einen Wiederkennungseffekt aus.
    Entgegen Deiner anschaulichen Bad Practice-Geschichte beobachte ich indes meist, dass Studierende gar kein Feedback von Seiten der Professoren erhalten – weder destruktiv-demotivierendes noch konstruktiv-hilfreiches. Eine sehr missliche, durch Bologna, verstärkten Drittmitteldruck und steigende Studierendenzahlen verschärfte, ja leider nachvollziehbare Situation. Ich rate Studierenden in meinen Seminaren und Beratungen stets, ihr Anrecht auf Rückmeldung in den Sprechstunden der Lehrenden geltend zu machen und zu fragen, wo die Stärken und Schwächen ihrer jeweiligen Studienleistung liegen und inwiefern Verbesserungspotenzial besteht und umgesetzt werden kann.
    In diesem Sinne möchte ich die von Dir eigentlich an die Feedbackgebenden adressierten acht Hinweise ebenso den Feedbacksuchenden zur Orientierung empfehlen, was sie von ihren prüfenden (und betreuenden!) Lehrpersonen erwarten dürfen. Wenn zumindest die feedbacknehmende Seite schon einmal weiß, wie der Hase bei einem konstruktiven Feedbackprozess läuft, können durch gezielte Fragestellungen und einen höflichen Verweis auf anerkannte Feedbackregeln durchaus hilfreiche Informationen und Anregungen für das weitere Studium gewonnen werden.

    Herzliche Grüße,
    Lisa

  2. Franziska Nauck
    Erstellt am 17. August 2015 um 10:58 h

    Liebe Lisa,
    ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar! Die Verantwortung der Feedbacknehmenden ist in diesem Prozess natürlich genauso essenziell und vielen Studierenden, aber auch in anderen Kontexten Schreibenden kaum bewusst! Im beschriebenen Fall habe ich, ähnlich wie Du, die Ratsuchende ermutigt, sich das Feedback einzufordern, das sie braucht – mit Erfolg! Ich denke auch, dass dies für uns Beratende der erfolgversprechendere Weg ist. Dennoch hatte ich das Bedürfnis, meinen „Appell“ zunächst einmal an die Feedbackgebenden zu richten – es macht mich manchmal doch sehr wütend zu hören, wenn ausgerechnet die Betreuenden dem Fortgang der Arbeit dadurch im Wege stehen, dass sie entweder, wie Du es beschreibst, gar kein Feedback geben oder ein unproduktives.
    Herzliche Grüße, Franziska