Ich schreibe, also denke ich!

veröffentlicht am 23. März 2012, abgelegt unter Schreiben

Das Faszinierendste am Schreiben war für mich schon immer das Phänomen, wie Gedanken, Ideen und neue Zusammenhänge schreibend erst entstehen. Dazu fällt mir folgende Situation aus meiner Schulzeit ein: Ich sitze mit meinen Mitschülern im Klassenraum und unser Deutschlehrer teilt Zettel aus – die Aufgabe: Gedichtinterpretation. Ein Stöhnen geht durch die Klasse. Ich lese das Gedicht und denke: Himmel, was soll ich dazu schreiben? Was sich mir spontan an Sinn erschließt, kommt mir überaus dürftig vor. Wenn ich diese Aufgabe mündlich lösen müsste, würde ich wohl kläglich scheitern. Aber das muss ich nicht – und das ist mein Glück! Ich überlege nicht lange, sondern fange einfach zu schreiben an, munter drauflos.

Bei diesen Gelegenheiten machte ich ein ums andere Mal die unerhörte Erfahrung, dass sich die Einsichten in die Bedeutung der Verse und die möglichen Intentionen des Dichters nach und nach wie von selbst einstellten. Vers für Vers, Strophe für Strophe erschloss sich mir das Gedicht; das Schreiben öffnete mir Geist und Sinne für Assoziationen und ließ mich – als Abenteurerin unter den Schreibenden – auf ungeahnte Bedeutungs- und Ausdrucksschätze stoßen, die ich nie vermutet hätte. Das vorher düstere und unwegsame Terrain, zugewachsen von undurchdringlichem Wortgestrüpp, lichtete sich nach und nach. Wege taten sich auf und mein beklommenes Gefühl, orientierungslos zu sein, verflog schließlich ganz, als alles einen Sinn ergab. Und der war nicht einfach so da mit dem Gedicht auf dem Zettel, sondern ich hatte ihn mir – erschrieben.

Meine Begeisterung und mein Staunen über diesen Effekt des Schreibens wird wohl immer anhalten und umso mehr verwundert es mich, wie weit verbreitet und tief verwurzelt die Vorstellung ist, wir würden schreibend das im Kopf vorhandene, fest gefügte Wissen nur abbilden, darstellen, wiedergeben. Allem modernen Wissen über die Vorgänge in unserem Gehirn zum Trotz verhalten wir uns beim Schreiben häufig genauso. Vielleicht auch, weil wir uns unbewusst vor dem Unbekannten fürchten, das entsteht, wenn wir Kreativität und Schöpfung zulassen. Da könnten ja neue Perspektiven entstehen und ein Umdenken nötig werden! Das kostet Mühe und Zeit – dieses rare Gut!

Dennoch: Wenn wir gute, gehaltvolle Texte schreiben wollen, sollten wir uns das kreative Potenzial dieses Mediums auf jeden Fall zunutze machen. Georg Christoph Lichtenberg hat es vor ungefähr 250 Jahren so ausgedrückt:

„Zur Aufweckung des in jedem Menschen schlafenden Systems ist das Schreiben vortrefflich und jeder, der je geschrieben hat, wird gefunden haben, dass das Schreiben immer etwas erweckt, was man vorher nicht deutlich erkannte, ob es gleich in uns lag“.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Schreibdenken (wie es meine Kollegin Ulrike Scheuermann so treffend nennt)!


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